Am 29. September 2006, dem Feste des Hl. Erzengels Michaels, konnte die katholische Gemeinde in Emden den 200. Jahrestag der Einweihung ihrer Pfarrkirche begehen. Genau 76 Jahre vor der Einweihung, am St. Michaelstage 1730, war die erste hl. Messe in einem behelfsmäßig zur Kapelle eingerichteten Packhaus gefeiert worden. Deshalb wählte man den Erzengel als Schutzpatron der Kapelle und behielt den Namen später auch für die Kirche bei.
Die Geschichte der Emder Gemeinde nach der Reformation reicht zurück bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhundert. Als der münstersche Fürstbischof Ferdinand von Bayern im Jahre 1613 begann, im nördlichen Teil seines Sprengels, dem „Nieder-Stift Münster“, das katholische Bekenntnis wieder verkündigen zu las-sen, setzte ein stetiger Zufluss von Katholiken in das völlig protes-tantisch gewordene Ostfriesland ein. Dieses war von je her ein vorrangiges Auswanderungsziel des bevölkerungsreichen Emslan-des. Ein guter Teil dieses Zuflusses hat immer in der Hafenstadt Emden Arbeit und Brot gefunden. Zunächst waren diese Katholi-ken freilich von jeder seelsorglichen Betreuung abgeschnitten.
Erst 1632 begann, soweit wir heute noch nachweisen können, die Seelsorge in der ostfriesischen Diaspora. Jesuiten aus der Meppe-ner Residenz waren es, die zunächst den im Lande zerstreuten Ka-tholiken die Tröstungen ihres Glaubens brachten. Während bislang angegeben wurde, Schloss Gödens im östlichen Ostfriesland habe die erste Seelsorgestation im Lande gebildet, haben neuere For-schungen ergeben, dass das aus inneren Gründen nicht zutreffen kann. Vielmehr hatte Emden den ersten Missionar aus dem Jesui-tenorden, P. Friedrich Feken SJ, beherbergt. Sein Nachfolger, P. Caspar Becker SJ, nahm seinen Wohnsitz in Leer; als die Mittel zum Unterhalt einer Station in Ostfriesland selbst ausfielen, über-nahm er 1654 die vakante Pfarre in dem hart an der ostfriesischen Grenze gelegenen münsterschen Dorfe Rhede, um von dort aus seine Missionstätigkeit weiter fortsetzen zu können.
Aus dieser Zeit hat sich eine archivarische Notiz gefunden, die uns Aufschluss über den damaligen katholischen Gottesdienst in Em-den gibt. Im Emder Reformierten Kirchenrat wird am 22. März 1657 vorgebracht, dass die „Paptisten“ in der im Vorort Faldern
gelegenen Straße „Auf dem Spieker“ verbotene Zusammenkünfte abhielten, die unterbunden werden sollten.
Die Betreuung der Katholiken im westlichen Ostfriesland durch die Jesuiten fand ihr Ende, als 1667 P. Becker SJ, von Krankheit ge-schwächt, die Pfarrstelle in Rhede aufgab und nach Meppen zu-rückkehrte. Seine Aufgabe übernahmen Franziskaner, zunächst aus dem Kloster in Vechta. 1680 gründete dann Ferdinand von Fürstenberg, Bischof von Münster, ein Kloster in Aschendorf eigens zu dem Zweck, die benachbarten Diasporagebiete durch die dort stationierten Franziskaner versorgen zu lassen. Es hat allerdings lange gedauert, bis diese auch in Emden, wo besondere Schwie-rigkeiten vorlagen, festen Fuß fassen konnten. Die ersten 10 Jahre nach dem Fortzug von P. Becker hat es anscheinend in Emden überhaupt keine Seelsorge unter den Katholiken gegeben; in den folgenden Jahren ist sie auch nur vereinzelt und besuchsweise möglich gewesen.
Bessere Voraussetzungen schienen sich zu ergeben, als Friedrich Wilhelm, der „Große Kurfürst“ von Brandenburg, die von ihm in Pil-lau gegründete „Afrikanische Handelskompanie“ 1685 nach Emden verlegte. Ihr Leiter, der brandenburgische Admiralitätsrat Leon-hard von Grinsven, der bislang infolge eines Lesefehlers unter dem entstellten Namen Guinsoen bekannt ist, war ein überzeugter und eifriger Katholik; ihm wurde zugestanden, dass er für sich und sei-ne Hausangehörigen vier mal im Jahr einen katholischen Geistli-chen nach Emden holen konnte, der die Messe las und die Sakra-mente spendete. Der Aschendorfer Franziskanerpater Arnold Sie-mons versuchte dieses Zugeständnis auszuweiten und eine feste Seelsorgestation hier einzurichten, wurde aber, nachdem er rund 15 Monate (von Pfingsten 1684 bis Maria Lichtmess 1685) in Em-den geweilt hatte, aus der Stadt verbannt. Er hat wohl hauptsäch-lich in dem uns nicht näher bekannten Hause des Admiralitätsrats, aber auch unter freiem Himmel Gottesdienst gehalten, so z. B. „vor dem Nordertor“, also an der Strasse nach dem heute einge-meindeten Vorort Wolthusen. Einer seiner Nachfolger, P. Bonaven-tura Kemper, versuchte den Schwierigkeiten zu entgehen, indem er den Gottesdienst außerhalb der Stadt, in einer Gastwirtschaft des unweit von Emden gelegenen Ortes Harsweg, feierte. Aber bald wurde auch das unterbunden.
Einige Jahre später (1690) hören wir wieder von einem Gottes-dienst unter freiem Himmel „auf der Bleiche außer dem Alten Neu-en Tore“, also in der Gegend der heutigen Straße „Zwischen bei-den Bleichen“, der ebenfalls wieder durch die Polizei gestört wur-de. Dann aber begann man, die Messe abwechselnd in den Privat-häusern von Gemeindemitgliedern zu feiern, wenn ein Geistlicher in der Stadt anwesend war. Genannt wird zunächst die Wohnung des Kapitäns (Hauptmanns) des in Emden stationierten Branden-burgischen Marine-Bataillons Reinold Theodor Lafontaine de Bel-port, und etwa zur gleichen Zeit die einer Frau ten Hove (Hooff), deren Mann Buchhalter bei der Afrikanischen Kompanie war. Bei ihr versuchte der Begründer des Wallfahrtsortes Neviges-Hardenberg, P. Antonius Schirley OFM, die Gemeinde zu versam-meln, wurde aber dabei entdeckt und vertrieben. Häufig wird dann in den Jahren 1689 – 1706 das Haus eines aus Mecklenburg gebür-tigen Konvertiten namens Johann Adolph Stellwagen genannt. 1701 ist einmal von einem katholischen Gottesdienst in der Kleinen Deichstraße die Rede, der gestört worden war.
Seit 1696 konnte die Gemeinde endlich durch einen ständig in Em-den wohnenden Geistlichen betreut werden. In den Jahren 1706-1708 schien man auch eine einigermaßen befriedigende und siche-re Lösung für die Schaffung eines Kirchenraumes gefunden zu ha-ben: Ein Franzose namens Pierre Marchés, der in der Großen Deichstraße eine Gaststätte betrieb, räumte der Gemeinde das Obergeschoss des hinter seinem Hause gelegenen Packhauses ein, wo man etwa 2 Jahre lang zur Feier des Hl. Messopfers zusammen kam. Hierbei war es günstig, dass man durch die Gaststätte gehen musste, weil so das Zusammenströmen einer größeren Anzahl von Menschen weniger auffiel als bei einem Privathause. Aber auf die Dauer erwies sich der Raum als zu klein und seine Konstruktion als zu schwach, sodass man schließlich ein Haus in der Hofstraße mietete, in dem zugleich der jeweilige Geistliche wohnte.
Im Jahre 1717 zog man wieder in die Große Deichstraße zurück Das Nachbarhaus der Wirtschaft Marchés war zum Verkauf ge-kommen und von dem Kommandanten der damals in Leer statio-nierten kaiserlichen „Salvegarde“, dem Obersten Friedrich Caspar Freiherrn von Neuhof genannt Ley, einem überaus eifrigen Katho-liken und wohl dem größten Wohltäter der Emder Gemeinde, er-worben worden. Dieses Haus lag an der Ostseite der Straße. Es
trug den Namen „Der goldene Kopf“. Darin behielt sich der Oberst einige Räume für seinen Aufenthalt vor, wenn er in Emden weilte; im übrigen stellte er es der Gemeinde zur Verfügung. So fand der jeweilige Missionar eine Art von Dienstwohnung. Aus dem hinten gelegenen, 30 Fuß langen und 18 Fuß breiten Packhaus (8,88 X 5,33 m.) wurde durch Herausnahme von 2 Böden ein hoher Kir-chenraum, der einige Jahre später mit einem eichenen Altar aus-gestattet wurde. Als der Oberst 1725 starb, vermachte er dieses Haus zusammen mit anderem Grundbesitz der Emder Gemeinde in der Hoffnung, damit auf absehbare Zeit den Kirchenraum sicher-gestellt zu haben. Aber nur noch wenige Jahre hat sich die Ge-meinde dieses Legats erfreuen dürfen. Anfang September 1730 wurde ihr die weitere Abhaltung des Gottesdienstes dort unter-sagt, weil das Haus im Zentrum der Stadt lag und es immer noch Kreise gab, die an der Bildung einer katholischen Gemeinde Anstoß nahmen. Die Schließung der Kirche drohte einen Aufruhr unter dem in Emden stationiertem Militär, das zum großen Teil aus Ka-tholiken bestand, hervorzurufen. Er wurde aber durch das Ein-schreiten der Offiziere und die Besonnenheit des Missionars, der es ablehnte, Gewalt mit Gewalt zu beantworte, verhindert. Mit Hilfe einiger Gemeindemitglieder kaufte man nun ein abseits gelegenes Packhaus, am Ausgange der Judengasse, heute Max-Windmüller-Straße, auf das so genannte „Eyland“, das man in aller Eile zu ei-ner Kapelle herrichtete. Am Feste des Hl. Michael, den man gleich-zeitig zum Schutzpatron erwählte, konnte man dort die erste Hl. Messe feiern. Diese Kapelle war, soweit wir ihre Ausmaße rekons-truieren können, eher noch kleiner als das alte Gebäude an der Großer Deichstraße. Sie lag seitlich von der heutigen Kirche, etwa dort, wo früher die viertklassige katholische Volksschule gestanden hat und heute der Kindergarten ist.
76 Jahre hat sich die Gemeinde mit diesem Raume behelfen müs-sen. Soweit sich Gelegenheit bot, erwarb man die anschließenden Grundstücke zum Zwecke eines späteren Kirchenbaues. Aber die-ser konnte erst erfolgen, als die aus den Kämpfen der Reformati-onszeit stammenden engen Fesseln gesprengt und der Gemeinde 1801 das Recht der freien Religionsausübung zugestanden war. 1803 begann man dann mit dem Bau einer stattlichen Kirche, die am Michaelstag 1806 benediziert wurde. Sie gab nun endlich der Gemeinde eine würdige Heimstatt, bis sie am 6. September 1944 beim Luftangriff zerstört wurde.
Die heutige Pfarrkirche St. Michael wurde in den Jahren 1946 – 1950 vom Kirchenbaumeister Dominicus Böhm erbaut. Sie steht an der Stelle der alten Michaelskirche. Die kleine Diasporagemeinde hatte ihre Kirche unter großen Opfern wieder errichtet. 1975/76 erfolgte eine Umgestaltung des Altarraumes, um der vom Konzil erneuerten Liturgie gerecht zu werden.
In den Jahren 1991/92 wurde eine notwendige Grundsanierung durchgeführt, mit der wir zugleich eine künstlerische Neugestal-tung verbinden konnten. Den Umbau betreute das Architektenbüro Gerhard Janssen, Westoverledingen, die künstlerische Gestaltung lag in den Händen des Bildhauers Josef Baron aus Unna.
(Heinrich Kamphus)